Erstmal möchte ich dir ein Lob aussprechen, dass du nicht einfach nur Zahlen aufstellst, sondern sie auch mit Studien belegen willst. Da hat man doch gleich eine viel bessere Diskussionsgrundlage.
Daher möchte ich auch erstmal vor allem auf die beiden Studien eingehen: Beide belegen deine Zahlen nicht und finde ich auch vollkommen ungeeignet für die Diskussion. Es soll darum gehen, ob Deutschland zu wenig gegen Mobbing macht. Deine Studien gehen allerdings nicht auf uns ein. In deiner zweiten Studie war Deutschland zwar eines von 13 Ländern, in denen Schüler befragt wurden, es gibt aber keine Auskunft, wie groß das Problem wirklich ist. Es macht einen Unterschied, ob 9% oder 54% der Jugendlichen von Mobbing betroffen sind. Die genaue Fragestellung der Studie wäre ebenfalls interessant.
Hilfreich finde ich nur die Angabe aus der ersten Studie, dass man bei den Mobbingopfern ein ungefähr vier Mal so hohes Suizidrisiko festgestellt hat, wie bei den Jugendlichen, die keine Opfer von Mobbing waren.
Auch deine Angabe bezüglich der Suizide in Deutschland finde ich problematisch. Das statistische Bundesamt bestätigt zwar die Höhe, allerdings sind das alle Suizide in ganz Deutschland. Sieht man sich die Zahlen von 2022 nach Alter aufgeschlüsselt an, fallen von den 10.000 Leuten gerade einmal 192 Personen in die Altersgruppe deiner Studien. Wie viele Todesfälle dort im Zusammenhang mit Mobbing stehen, wissen wir dadurch aber immer noch nicht. Genauso können wir nicht einschätzen, ob sich die Leute ab 20 dann als Spätfolge des Schulmobbings umgebracht haben.
Ich persönlich finde es allerdings eh problematisch Suizid als Folge von Mobbing hochzuhalten und daran festmachen zu wollen, wie schlimm Mobbing ist. Verstehe mich nicht falsch: Ich will Suizide als Folge nicht herunterspielen. Wenn aber alle Mobbingopfer, die keinen begehen, keine Folgen hätten, müsste man das Problem ganz anders bewerten.
Hier mal meine Aussage an Zahlen erklärt: Laut einer Studie vom Bündnis gegen Cybermobbing leiden "gerade einmal" 15% der Opfer unter Suizidgedanken. Von denen landet dann aber trotzdem nur ein Bruchteil in der Suizidstatistik. Schaut man sich also nur die Suizide an, tut man so, als würden mehr als 85% der Betroffenen danach ein normales Leben führen.
Gerade das ist aber nicht der Fall: In der gleichen Studie gaben zum Beispiel 45% der deutschen Befragten an, unter Depressionen zu leiden. 37% berichteten von physischen Problemen wie zum Beispiel Magen-Darm-Beschwerden. Bei den psychischen Problemen wird nicht beschrieben, wie viele Leute von diesen Betroffen sind. Es macht schließlich auch noch einmal ein Unterschied, ob Depressionen und Zwangsstörungen immer getrennt auftreten (dann hätten 83% psychische Folgen) oder meistens zusammen.
Leider geht die Studie an dieser Stelle auch nicht darauf ein, ob die Folgen nach Ende des Mobbings wieder verschwinden. Gerade von psychischen Krankheiten wissen wir aber, dass man in aller Regel eine längere Theraphie durchlaufen muss und im Zweifel sein Leben lang beeinträchtigt ist.
Insgesamt habe ich leider meistens nur eine Aufzählung von möglichen Folgen gefunden und kaum Studien über die (Langzeit-)Folgen von Mobbing. Eine Studie sprach allerdings davon, dass bei Mobbingopfer ungefähr 24% später an psychischen Erkrankungen leiden, während es bei den nicht betroffenen Personen nur 6% waren. Sie wurde allerdings mit relativ wenig Personen durchgeführt (1420) und es wurde Mobbing anders definiert als in den deutschsprachigen Studien. Daher sind die Zahlen mit Vorsicht zu genießen.
Die Zahlen sprechen meiner Meinung nach aber erstmal alle dafür, dass Mobbing die Opfer über Jahre beeinträchtigt. Mal abgesehen von ihren persönlichen Leid, verursacht das auch Kosten zum Beispiel aufgrund der Gesundheitsversorgung und sie fallen eventuell als dringend benötigte Fachkraft weg. Etwas gegen Mobbing zu unternehmen, scheint sich also abgesehen von weniger Todesfällen pro Jahr für die Gesellschaft zu lohnen.
Trotzdem stellt sich noch die Frage, wie groß das Problem Mobbing in Deutschland wirklich ist. In der oben genannten Studie vom Bündnis geben Mobbing gaben beispielsweise 32,6% der Befragten an schon einmal Opfer gewesen zu sein. In einer Studie aus dem Jahr 2022 geben 30% an, schon einmal Mobbing am Arbeitsplatz erfahren zu haben. Bei der PISA-Studie 2022 gaben 12% der Befragten 15-Jährigen an, Opfer von Mobbing geworden zu sein. Die Zusammenfassung der Studien findet man hier. Dort findet man auch die genauen Studien verlinkt.
Du wirst dort auch noch Zahlen aus 2019 finden. Diese habe ich nicht mit einbezogen, da die Fragestellung der Studie jede Beleidigung als Mobbing betitelt. Die anderen Studien definieren Mobbing allerdings als die wiederholende und systemathische Anwendung von Gewalt. Die Ergebnisse sind daher nicht vergleichbar.
Die Zahlen zeigen uns also: Mobbing ist ein großes Problem in der Gesellschaft. Bringt man die Zahlen zusammen müsste ungefähr 15% der Bevölkerung im Zusammenhang mit Mobbing an Depressionen erkrankt sein.
Da wir in Deutschland anscheinend ein großes Problem mit Mobbing haben, stellt sich jetzt die Frage, was man dagegen tun kann.
Hier besteht das Problem, dass wir laut der Studie vom Bündnis geben Mobbing fehlen keine empirischen Daten haben, wie Mobbing genau entsteht. Man weiß allerdings, dass es ein Gruppenphänomen ist, bei welchem das Ausbleiben negativer Konsequenzen meistens für die Täter als Bestätigung dient, dass ihr Verhalten in Ordnung ist.
Ich halte es daher für sehr wichtig, Mobbing in der Gesellschaft sichtbarer zu machen und besser darüber aufzuklären. Beispielsweise hier auf gutefrage.net werden immer wieder Stimmen laut, welche die Verantwortung auf das Opfer abschieben. Dieses soll sich Mobbing einfach nicht gefallen lassen, weniger sensibel reagieren und Selbstvertrauen aufbauen. Am Ende findet also eine Täter-Opfer-Umkehr statt: Das Problem des Opfers ist falsch, nicht das Verhalten des Täters.
Hier könnte die Bundesregierung mehr Aufklärung betreiben, zum Beispiels durch verpflichtende Aufklärungstage in der Schule oder in Betrieben. So könnten Außenstehende Mobbing besser als Problem erkennen und es vor allem nicht durch Ignorieren unterstützen.
Darüber hinaus fände ich mehr leicht findbare Anlaufstellen wünschenswert. Für Schüler könnte das Bedeuten, dass sie einen Sozialarbeiter oder Schulpsychologen als unabhängigen Ansprechpartner haben, und davon wissen. An meiner ehemaligen Schule haben wir zum Beispiel erst am Ende der zehnten Klasse von unserer Schulpsychologin erfahren. Und das auch nur weil sie im Mutterschutz war und wir ihr als Abstellkammer genutztes Büro wieder leerräumen durften. Auch beim Googeln sollte man eine Anlaufstelle finden. Wenn ich es tue, werden mit allerdings entweder allgemeine Tipps gegen Mobbing angezeigt oder es wird auf das Hilfetelefon für Gewalt gegen Frauen verwiesen.
Auch eine bessere Gesundheitsversorgung könnte dabei helfen, das Problem einzudämmen. Die Wartelisten für einen Theraphieplatz sind lang.
Beispielsweise von einer verschärften Gesetzgebung, wie gerne gefordert wird, halte ich hingegen nicht viel. Bei Mobbing werden häufig Straftaten verwirklicht, die schon längst unter Strafe stehen (z.B. Beleidigung, Verleumdung, etc.). Wir haben daher keine Strafbarkeitslücke, wie viele zu glauben scheinen. Man müsste also die Faktoren herausfinden, welche dafür Sorgen, dass Mobber nicht vor Gericht landen (z.B. Anzeigeverhalten der Opfer, schwierige Beweislage, etc.) und erstmal an diesen arbeiten.
Also ja, ich sehe wie du großen Handlungsbedarf. Da ich allerdings selbst Schulmobbing erlebt habe, sehe ich natürlich auch eher die Argumente, die dafür sprechen.
Man muss aber eben auch anerkennen, dass wir ein wenig im Trüben rumfischen, wenn es um Präventionsmaßnahmen geht. Wie schon geschrieben, finde ich die Datenlage an vielen Stellen etwas wenig, gerade weil die Studien teilweise Mobbing unterschiedlich definieren und damit nicht vergleichbar sind.
Viele der Lösungen, die ich als sinnvoll ansehe, bedeuten auch, man muss mehr Arbeit und Geld in das Thema stecken. Gleichzeitig haben wir einen großen Fachkräftemangel und einen Investitionsstau an vielen Stellen (z.B bei der Bundeswehr oder deutschen Bahn).
Dann ist auch die Frage, wie schnell man die Auswirkungen der Maßnahmen merkt. Die Leute, die in Beratungsstellen arbeiten können, sitzen aktuell nicht gelangweilt zu Hause und warten darauf, dass endlich ein Arbeitsplatz für sie geschaffen wird. Sie müssten erst ausgebildet werden. Das Gleiche gilt für Personen, die beispielsweise in Betrieben über Mobbing aufklären.
Auch Veränderungen am Schulsystem oder bei der Lehrerausbildung werden erst ihre Wirkung entfalten müssen. Ein System, welches neues Mobbing verhindern soll, beendet nicht automatisch auch das alte Mobbing. Eine Änderung an der Lehrerausbildung zeigt erst Wirkung, wenn die Leute auch unterrichten.